Vor genau 75 Jahren trafen sich 30 sportliebende Eisenbahner in den Räumen der Eisenbahn-Badeanstalt im Bürgerpark. Ihr Anliegen: Mit Unterstützung des Leiters des Reichsbahn-Sozialwerks (RSW später BSW) Gustav Sievers eine Turn- und Sportgruppe innerhalb des RSW zu gründen. Da von vornherein klar war, die TuS-Gruppe als Rasensportverein (RSV) anzumelden, gilt der 7. Februar 1949 als Wiedergründungsdatum des Eisenbahnersportvereins.
Offiziell war der 1928 gegründete Reichsbahn Turn- u. Sportverein (RTSV), der 1940 wie alle damaligen Eisenbahnersportvereine in Reichsbahnsportgemeinschaft umbenannt wurde, nicht liquidiert.
Allerdings darf ein Fakt aus der damaligen Zeit nicht außer acht gelassen werden. Noch im Oktober 1950 weigerte sich der Landessportbund Niedersachsen, Behördensportvereine in seinen Reihen aufzunehmen. (Braunschweiger Zeitung vom 11. Oktober 1950).
Aus diesem Grund firmierten der 1927 gegründete Postsportverein und der Polizei SV von 1921 in den Nachkriegsjahren unter den Bezeichnungen Blau-Gelb, bzw. Grün-Weiß.
Vielleicht war das Verbot neben anderen gravierenderen Umständen ein Grund dafür, dass der Re-Start des Eisenbahnersports in Braunschweig erst relativ spät erfolgte und mit Rasensportverein eine neutrale Bezeichnung gewählt wurde.
Helmut Baur wird Leiter der Turn- und Sportgruppe im RSW
Am Gründungstag standen organisatorische Dinge im Vordergrund. So wurde ein BGB konformes Leitungsteam gebildet, an dessen Spitze der damals 44-jährige Reichsbahnoberrat Helmut Baur, dem Vorsitzenden des Maschinenamts (MA) Braunschweig, gewählt wurde. Zu seinem Stellvertreter wählten die anwesenden Eisenbahner Hermann Bierschenk von der Reichsbahnschule BS. Schriftführer wurde Hermann Schomburg (Betriebsamt, BA), der schon bei der Gründung des RTSV Mann der ersten Stunde war. Hermann Wendehake von der Bahnhofskasse Braunschweig galt das Vertrauen, die Kassengeschäfte zu führen.
In den darauffolgenden Tagen beschloss der Vorstand "Schwarz-Blau" als Vereinsfarben, da andere Farbkombinationen nicht mehr frei waren und doppelte Vergaben zur damaligen Zeit nicht zulässig waren.
In einem Schreiben (Aushang) vom 18. Februar 1949 an "Alle Eisenbahner im Raume Braunschweig" wurden unter anderem auch die Abteilungen mit den zuständigen Leitern bzw. Leiterin veröffentlicht.
Turnen | Walter Gaus | Bw Brg Vbf |
Leichtathletik | Bernhardt Freiwerth | RAW Brg |
Handball | Karl Hartmann | RAW Brg |
Fußball | Robert Riecher | MA Brg |
Faustball | Hermann Bierschenk | Rb-Schule Brg |
Schwimmen | Kollege Grünhage | RAW Brg |
Tischtennis | Käthe Nieß | BA Brg |
Kegeln | Kollege Tümmel | Zugleitung Lokdienst Brg |
Zum Zeitpunkt des Schreibens hatten für die Frauen und Männer um Helmut Baur zwei Dinge höchste Priorität. Zum einen die Mitgliedergewinnung, um den Trainings- und Spielbetrieb zum Laufen zu bekommen, aber auch, um über die von den Mitgliedern zu entrichtenden Unkostenbeiträge (monatl. 1,- DM, bzw. 0,50 DM) an die zur Anmietung von Sportstätten benötigten Geldmittel zu kommen.
Sportpark Richmond anstatt Bürgerpark
Da die vereinseigene RTSV-Turnhalle im Krieg zerstört wurde, musste für die Turnabteilung Ersatz gefunden werden. Die Sporthalle der Knabenmittelschule Augustplatz konnte für montags fest eingeplant werden. Etwas schwieriger gestaltete sich die Anmietung eines geeigneten Sportplatzes. Der alte RTSV-Sportplatz am Werkstättenweg lag brach und konnte aus vielerlei Gründen nicht kurzfristig für den Sportbetrieb hergerichtet werden.
Am 4. März ´49 konnte mit der Technischen Hochschule, die spätere TU, eine mündliche Vereinbarung geschlossen werden, die den Eisenbahnsportlern gestattete, den Uni-Sportplatz Langer Kamp jeweils freitags zu nutzen. Eine Woche später konnte der Überlassungsvertrag zwischen dem Institut für Sport und Sporterziehung der TH (Herr Gerschler) und der Turn- und Sportgruppe (Oberbahnrat Baur) unterschrieben werden. Für die Nutzung freitags zwischen 17.00 und 19.00 Uhr wurden 2,- DM pro Stunde zuzüglich 0,75 DM pro Stunde Anerkennungsgebühr für den Platzmeister festgeschrieben . Als Leihgebühr für Sportgeräte wurden von der TH 1,- DM erhoben.
Die Freude über die neuen Möglichkeiten währte nicht lange. Mitte Mai lag auf dem Schreibtisch von Helmut Baur ein Schreiben der TH, in dem der Überlassungsvertrag seitens des Sportinstituts gekündigt wurde.
Unter anderem war ein Grund die Tatsache, dass die Besatzungsmacht den Platz vor- und nachmittags für sich beanspruchte und die daraus bedingte Änderung der Planung den Platz freitags für die Studentenschaft vorsah.
Die Suche nach geeigneten Trainingsmöglichkeiten ging von vorne los. Nach einer schriftlichen Anfrage im Mai bezüglich der Nutzung einer städtischen Sportanlage bekam der angehende RSV den Sportplatz in der Radrennbahn im Sportpark Richmond an der Salzdahlumer Straße zugewiesen. Der Pachtzins betrug 120,- DM jährlich. Der Sportbetrieb im Sportpark startete am 29. Juni ´49.
Vertrauensmänner als Botschafter der Sportgruppe/des Vereins in den Dienststellen der Deutschen Reichs- bzw. Bundesbahn
Neben der Suche nach geeigneten Sportstätten nahm die Mitgliederwerbung einen großen Raum ein. Anzusprechen waren natürlich die Eisenbahner und ihre Familien. Andere gesellschaftliche Gruppen waren auch von vornherein willkommen. Den Gründungsvätern war sehr daran gelegen, den Eindruck zu vermeiden, es handele sich um eine nur für Behördenmitarbeiter zugängliche "Kaste".
Um den direkten Kontakt zu den Mitarbeitern der DR/DB zu gewährleisten griffen die Verantwortlichen des RSV auf das bewährte System der Vertrauensleute zurück. Angestrebt war, auf jeder Dienstelle, im Reichsbahnausbesserungswerk in der Borsigstraße und in den Ämtern einen RSV-Vertrauensmann zu installieren. Diese waren dafür zuständig, für den RSV zu werben, zu beraten und ggf. Eintrittsformulare auszugeben, anzunehmen und an den Schriftführer weiterzuleiten.
Aber damit nicht genug. Um zu verdeutlichen, wie pedantisch die damaligen Verantwortlichen an die ganze Sache herangingen, sei aus einem Schreiben des Leiters der Sportgruppe an die Verantwortlichen der braunschweiger Eisenbahndienststellen vom 2. Juli 1949 zitiert:
[...] Wir möchten bei dieser Gelegenheit eine besondere Bitte zum Ausdruck bringen: Um die Benachrichtigung aller unserer Mitglieder und derer, die es noch werden wollen, sicherzustellen, ist bei jeder Dienstelle ein kleiner Aushangkasten notwendig. Wir bitten, ihm einen bevorzugten Platz einzuräumen und Einzelheiten mit dem Vertrauensmann unseres Vereins, Herrn ..................................... festzulegen. Für einige Dienststellen ist ein Pausabzug beigefügt, der Größe und Form des Kastens darstellt. Diese Dienststellen werden gebeten, die Herstellung für sich und jeweils noch eine oder höchstens zwei andere Dienststellen freundlichst mit zu übernehmen.
Wir danken Ihnen jetzt schon für ihr Entgegenkommen, das einer guten Sache dient. [...]
Der Trainingsbetrieb startet
Mit der oben geschilderten Anmietung des TH-Sportplatzes war es nun endlich möglich, mit dem eigentlichen Vereinszweck zu beginnen. Per Aushang wurden die 34 Fußballer, 21 Feldhandballer und 10 Faustballer aufgefordert den Trainingsbetrieb ab dem 11. März, einem Freitag, am Langen Kamp zu beginnen. Für die Leichtathleten galt das gleiche.
Für die 20 Tischtennisspieler stand der "Kleine Sitzungssaal" im Eisenbahnämtergebäude in der Campestraße zur Verfügung. Spiel- bzw. Trainingstage waren montags und donnerstags zwischen 16.30 und 21.00.
Für Frühaufsteher bestand sogar die Möglichkeit sonntags von 9.00 bis 12.00 Uhr ihrem Lieblingssport nachzugehen.
Ab Juni stand für die Kegler die Kegelbahn des Restaurant Jörns in der Karlstraße zur Verfügung. Pro Nachmittag waren 5,- DM zu bezahlen. Diese war anteilsmäßig von den Nutzern zu entrichten.
Am 13. April 1949 um 17.00 Uhr fand auf dem TH-Sportplatz das wohl erste offizielle Fußballspiel für die Eisenbahnsportler nach dem Krieg statt. Gegner war eine Auswahl der Landesversicherungsanstalt. Leider ist das Ergebnis nicht überliefert. Das gleiche gilt für das zweite Spiel der Fußballer. Jenes Spiel gegen Blau-Gelb (Postsportgemeinschaft) fand hingegen im Sportpark Richmond statt.
Zwei TT-Teams und eine Fußballmannschaft für die Spielzeit 1949/50 gemeldet
Am 13. Juni beantragte der RSV die Aufnahme im Sportbund Niedersachsen bzw. Kreissportbund (KSB) Braunschweig. Etwas mehr als eine Woche später lag der vorläufige Aufnahmebescheid im Briefkasten. Nun war es möglich mit den in ihrer Entwicklung schon fortgeschrittenen Abteilungen am Spielbetrieb der Fachverbände teilzunehmen.
Die Fußballabteilung um Robert Riecher meldete für die Saison 1949/50 ein Team für den NFV-Kreis Braunschweig Stadt und startete in der damals untersten Staffel, der 2. Kreisklasse. 67 Mannschaften nahmen 1949 im Zuständigkeitsbereich des KSB am Spielbetrieb teil. Zum Abschneiden der RSV-Fußballer in der ersten Saison nach Gründung liegt kaum etwas vor. Ein Ergebnis vom 25. September 1949 (vermutlich der 3. Spieltag) konnte recherchiert werden, und das ist nicht sehr erfreulich. Mit 0:7 unterlag das Team von Ernst Naab gegen die Vierte von Eintracht Braunschweig.
Mit zwei Mannschaften startete die TT-Abteilung unter Leitung von Käthe Nieß in ihre erste Saison. Neben den zwei Teams des RSV nahmen weitere 49 Kollektive am Spielbetrieb des Kreises teil. Das erste Punktspiel von RSV 1 fand am 20.10.1949 statt. Mit 9:0 Punkten und 27:2 Sätzen gewannen Diedrichs, Fürstenberg, Knappert, Lütgering, Mank und Born gegen die zweite Vertretung des Sportvereins Delphin.
Blieben noch die Feldhandballer. Zu deren Pflichtspielbetrieb im Gründungsjahr konnten jedoch noch keine Dokumente recherchiert werden.
Zwischenzeitlich, am 15. Oktober 1949, wurde offiziell eine Billardabteilung gegründet. Während der "Eröffnungsfeier" spielte ein gewisser Herr Zemisch vom Braunschweiger Billardklub gegen Hermann Drewes (RSV), um "alle Anwesenden mit der Schönheit des Billardsports bekannt zu machen".
Erster Obmann (Abteilungsleiter) war Albert Dutkowski. Der aufgearbeitete Französische Billardtisch stand im Zimmer 51 des Ämtergebäudes Campestraße 41. Für die Mitglieder bestand die Möglichkeit, täglich "mit Ausnahme der Tischzeit an Werktagen von 12.00 bis 14.00 Uhr" zu spielen.
Ab 13. Oktober war es für die Turner, aber auch den anderen Sportlern möglich, die Turnhalle der Schule Comeniusstraße zu benutzen.
Die Genehmigung des Rasensportvereins als Verein
Am 25. Juli 1949 erfolgte die vorläufige Aufnahme des RSV in den Kreissportbund (KSB). Im Oktober (25.10.1949) des gleichen Jahres genehmigte zuerst die Militärregierung und drei Tage später das Rechtsamt der Stadt Braunschweig den RSV als Verein. Die endgültige Aufnahme in den Sportbund erfolgte auf dem Kreisbundestag des Jahres 1950.
Der Verein trug die offizielle Bezeichnung "Rasensportverein (RSV) Braunschweig" Warum das "von 1928" fehlte, wird an anderer Stelle geschrieben.
Auf der zum KSB-Rundschreiben Nr. 27 vom 10.08.1949 beigefügten Adressenliste der beim Sportbund gemeldeten braunschweiger Sportvereine ist der RSV an der 40. Stelle von 41 gelistet.
Herbert Schapitz wird als Turn- und Sportlehrer engagiert
Aus einem Vermerk vom 8. Dezember 1949:
Die Praxis hat ergeben, dass es zweckmäßig und notwendig ist, für das Jugendturnen einen besonderen Turn- und Sportlehrer heranzuzuziehen. Dieses Problem wurde mit sämtlichen Vorstandsmitgliedern fernmündlich besprochen, die zustimmten.
Nachdem mit einigen potentiellen Kandidaten Gespräche geführt worden waren, fiel die Wahl auf Herbert Schapitz, Turn- und Sportlehrer an der Knabenmittelschule Augusttor. Für sein Engagement bezahlte der RSV 6,- DM für die Doppelunterrichtsstunde (90 Minuten). In der Praxis stellte sich jedoch heraus, dass Herr Schapitz generell zwei Stunden vor Ort war.
Auf der ersten Mitgliederversammlung nach Anerkennung als Verein am 3. März 1950 wurde der u. a. Vorstand gewählt und eine neue Satzung eingeführt. Im Laufe des Jahres wurde beschlossen, den RSV beim Amtsgericht in das Vereinsregister eintragen zu lassen. Mit Schreiben vom 16.11.1950, der Satzung vom 03.03.50, eine von sieben Mitgliedern unterschriebene Niederschrift zur Gründungsversammlung am 07.02.1049 und einer Unbedenklichkeitserklärung wurde die Eintragung beantragt.
Am 16. Januar 1951 wurde der "Rasensportverein (RSV) Braunschweig e. V." unter VR 790 im Vereinsregister des Amtsgerichts Braunschweig eingetragen. Eingetragen wurden des weiteren die unten genannten Vorstandsmitglieder.
Zum Zeitpunkt der Eintragung hatte der RSV 280 Mitglieder (Stichtag: 01.01.1951). Bei der Bestandserhebung wurden die Abteilungen Fußball, Handball, Faustball und Tischtennis für den Wettkampf und die Sparten Turnen und Billard als Übungsgruppen gemeldet. Als Frauenwartin wurde Waltraud Sabulowski auf dem Meldebogen geführt.
Der Vorstand des RSV Braunschweig 3. März 1950:
Vorsitzender | Helmut Baur | 25.12.1904 |
Stellvertreter | Hermann Bierschenk | 04.01.1899 |
Hauptsportwart | Walter Ebert | 09.11.1906 |
Jugendleiter | Eduard Heda | 01.04.1919 |
Kassierer | Hermann Wendehake | 07.02.1921 |
Schriftführer | Hans Pickert | 19.09.1912 |
Die im Februar 1949 begonnene Vereinsgründung war somit offiziell abgeschlossen. Der RSV hatte jetzt die vom Vereinsrecht vorgegebenen Rechte und Pflichten.
Anmerkung:
Dass der 1949 gegründete Rasensportverein Braunschweig e. V. ohne Gründungsjahr daherkommt und noch nicht das heute übliche "von 1928" im Namen steht, hat seinen Grund. Wie der gegenwärtige "RSV von 1928 e.V." entstanden ist, soll Stoff für einen weiteren Aufsatz sein.